
Benjamin Bessinger/SP-X - 15. Januar 2025, 12:36 Uhr - 4x4 Allrad NEWS
Hintergrund Flugautos - Ganz schön abgehoben
Der Traum vom Fliegen ist so alt wie die Menschheit und verfängt deshalb natürlich auch bei Autobauern. Nur abgehoben haben solche Zwitter aus Flug- und Fahrzeug bislang nicht. Und selbst wenn gelingen sollte, wird daraus noch lange kein tragfähiges Geschäft.
Tan Wang hat prominente Gesinnungsgenossen. Denn bei seiner Arbeit kann sich der Chef des Xpeng-Ablegers AeroHT auf niemand geringeren berufen als auf Ikarus oder Leonardo da Vinci. Schließlich haben schon die vom Fliegen geträumt „Und dieser Traum hat uns seitdem nicht losgelassen“, sagt der Kölner PS-Philosoph Paolo Tumminelli, „auch nicht die Autoentwickler.“ Egal ob die Jetsons in den Comics der 1960er oder die Designer erst in Detroit und dann im Rest der Welt: „Flugautos sind Bestandteil unserer kollektiven Vorstellungskraft und begegnen und seit Jahrzehnten immer wieder.“, sagt der Design-Professor.
Allerdings öfter auf dem Boden als in der der Luft. Denn so richtig abgehoben hat die Idee noch immer nicht. „Bis jetzt zumindest,“ sagt Wang und will das mit aller Macht ändern. Stolz rückt er deshalb in diesen Tagen auf der CES in Las Vegas seinen Land Aircraft Carrier ins Bild. Der graue Koloss, der ein wenig aussieht wie eine Mischung aus Tesla Cybertruck und VW Bulli kann zwar auch nicht fliegen, hat aber zumindest eine elektrische Personendrohne an Bord. Die faltet sich automatisch von der Ladefläche und soll den Insassen bei dutzenden Kilometern langen Rundflügen in bis zu 300 Metern Höhe neue Perspektiven eröffnen.
Zwar denkt Wang dabei auch an Ersthelfer und Katastrophenschützer, sieht das Doppel allerdings eher als neues Gadget für die reiche Elite seines Landes, die von Ferrari & Co nur noch gelangweilt ist und sich auf dem Weg in die Natur nicht ihre Designersneaker schmutzig machen soll. 
Die Idee ist freilich nicht neu und immer wieder engagieren sich in diesem Geschäft auch Autohersteller. Hyundai zum Beispiel hat deshalb einen eigenen Ableger, der die Kundschaft bald ebenfalls in die Luft bringen soll: „Auf dem Boden ist es mittlerweile so voll, dass wir in die Luft ausweichen müssen, wenn wir den Verkehrskollaps vermeiden wollen“, ist Young Cho Chi überzeugt. Wenn der Chefstratege im Hyundai-Konzern den urbanen Verkehr der Zukunft skizziert, dann fliegen Besucher von Shanghai oder Berlin bald mit elektrischen Drohnen führerlos zu speziellen Hubs im Stadtgebiet, von denen aus sie in autonomen Kleinbussen ans Ziel gebracht werden. Â
Drohnen wie der SA-1 zum Beispiel, den die Koreaner mit dem Fahrdienst Uber entwickeln, Er soll vier Personen in einer Höhe von 300 bis 600 Meter mit bis zu 290 km/h etwa 100 Kilometer weit befördern. Chi sieht darin nicht nur eine Notwenigkeit zum Erhalt der Mobilität, sondern auch einen riesigen Markt und zitiert Studien, die von einem Bedarf von bis zu 500.000 solcher Lufttaxen ausgehen. Und das zu Stückpreisen irgendwo zwischen einer halben und zwei Millionen Euro. 
Dass sich Autohersteller mit allen erdenklichen Verkehrsträgern vernetzen wollen und müssen, mag ja noch einleuchten. Und sich mit den entsprechenden Anbietern zu verbünden auch. Doch anderes als Daimler oder Audi, die mit Luftfahrt-Unternehmen kooperieren oder Beteiligungen erworben haben, will Hyundai direkt in das Geschäft einsteigen und Drohnen wie den SA-1 selbst produzieren. „Firmen wie Boeing oder Airbus wären dazu gar nicht in der Lage“, ist Chi überzeugt. Denn die seien schon froh, wenn sie mal auf hohe dreistellige Produktionsziffern kommen. Es sei für einen Automobilhersteller deshalb viel leichter, die Produktion ein wenig zurückzuschrauben, als dass ein Flugzeughersteller seine Fertigung entsprechend aufdrehe. 
Erst mal allerdings müssen sie zumindest ein paar weniger Exemplare zum fliegen bringen. Und dass das schwerer ist als erwartet, dass müssen gerade auch die deutschen Start-Ups Lilium und Volocoptor lernen, die zum Jahreswechsel mal wieder vor einer finanziellen Bruchlandung standen und bislang kaum gute Nachrichten zu verkünden hatten: „Beide Unternehmen liegen um Jahre hinter ihren Zeitplänen, bisherige Geldgeber glauben nicht mehr an einen erfolgreichen Abschluss und haben sich zurückgezogen“, watscht Dennis Röhr, Partner & Managing Director beim Münchner Strategieberater Berylls by AlixPartners, die verhinderten Aufsteiger ab. 
Xpeng-Flieger Wang lässt sich davon nicht entmutigen, sondern eher anspornen. Wer, wenn nicht wir Chinesen sollten so ein Ding zum Fliegen bringen, fragt er provozierend. Schließlich gäbe es nirgends mehr Geld, Knowhow und politischer Rückendeckung als im Reich der Mitte. Und den ersten Schritt hat er ja schon gemacht. Denn der Land Air Carrier ist keine Studie mehr, sondern soll Ende nächsten Jahres in Serie gehen. Und obwohl er mindestens 300.000 Euro kosten wird, haben die ersten 3.000 Kunden dafür schon unterschreiben. Da wird er seinen Schwenkflügler und als ultimativen Überflieger sein Flugauto doch wohl auch noch hinbekommen. 
Als Luxusspielzeug für Superreiche mag so etwas funktionieren, räumt Berylls-Experte Röhr ein und zollt Wang und seinen Kollegen großen Respekt: „Die vollständige Integration eines separaten Flugmoduls in die Hard- und Software-Plattformen einer Automobil-Architektur sind technologisch eindrucksvoll.“ Allerdings sieht er darin eher einen Leistungsbeweis und eine Marketing-Aktion, denn ein Geschäftsmodell: „Das Messe-Fahrzeug unterstreicht die Kreativität und Innovationsstärke von Xpeng und sollte der Partnermarke VW positive Impulse für die gemeinsame Kooperation geben.“
Dass daraus mehr werden könnte, scheitert in seinen Augen an einem großen Haken: Abgesehen von der Last-Mile-Mobility für ein paar Besserverdiener in China oder den Emiraten fehlen ihm die Anwendungsfälle und die Anreize für die Kunden. Und vor allem sieht er einen technischen Mangel: „Trotz der Innovationsfähigkeit hat Xpeng bisher auf einen autonomen Modus des Flugmoduls verzichtet.“ Auch wenn das Fliegen nach Beteuern Wangs noch so einfach sein soll, braucht es deshalb zum Führerschein auch noch eine Fluglizenz. 
„Damit ergeben sich vergleichbare Herausforderungen wie bei den Projekten von Lilium und Volocopter – es braucht einen Piloten, Anforderungen an Luftfahrzeugführer und Fluggeräte aller Art sind hoch, ein sehr stark frequentierter Luftraum in Europa ist schwer zugänglich und viele Bereiche sind für den Überflug per se gesperrt“, urteilt der Experte. Selbst wenn die technischen Hürden irgendwann überwunden werden, könnte sich das Flugauto deshalb im Paragrafen-Dschungel verfahren oder schlicht von den Controllern gekillt werden. 
Das mag alles sein, doch sind das für einen PS-Philosophen wie Tumminelli keine ernsthaften Hindernisse – man muss nur den Horizont etwas öffnen und weiter in die Zukunft schauen: „Langfristig wird Drohnen-Technologie das Fliegen mit automatisierten Funktionen ungemein erleichtern“, ist er überzeugt. „Bald braucht man keinen Pilotenschein mehr und auch nicht viel Geld“. Der kolossale Xpeng mag noch so viel kosten wie ein Luxusauto, aber die ersten Drohnen werden bereits für weniger als 10.000 Euro anvisiert.
Wer so was braucht und will? Da hat Tumminelli eine klare Meinung: „Prinzipiell träumt davon jeder, der sonst tagein tagaus Tag stundenlang an der Ampel Schlange steht. So wie jeder, der am schnellsten den schönsten Strand oder die Skipiste erreichen will,“ sagt der Experte und zitiert Studien, wonach sich die breite Mehrheit der Bevölkerung auf Flugautos freut.
Dummerweise wirft das die Frage nach einer Regelung auf. Und es Tumminelli selbstverständlich, dass die massenhafte, private und bemannte Drohnen-Fliegerei nicht ohne sonstige Bürokratie erfolgen kann. Erst recht nicht in Europa. Er glaubt deshalb, dass hierzulande erstmal auch nur Taxi-Dienstleistungen möglich sein werden. Aber Tumminelli ist überzeugt, dass die Chinesen als erste starten und uns werden möglicherweise den Weg hin zu privater individuellen Aeromobilität weisen werden. 
Und irgendwann könnten wir die in seinen Augen auch gut gebrauchen, wenn wir nur weit genug in die Zukunft schauen: Denn bei zunehmender Urbanisierung stellt sich die Frage nach dem ökonomischen und ökologischen Sinn einer dichten regionalen Verkehrsinfrastruktur. „Dann wird plötzlich auch das Landleben wieder interessant. So auch nach möglichen Formen des Lebens auf dem Land“, glaubt Tumminelli und sieht in fliegenden Autos, die potenziell gar günstiger als herkömmliche Automobile sind, langfristig sinnvolle Lösungen zum Erhalt und dem weiteren Aufbau von autarken ruralen Gemeinden. „Denn die Zentren sind dann nur noch einen Katzen- neun Luftsprung entfernt.“
Dieser Artikel aus der Kategorie 4x4 Allrad Auto NEWS wurde von Benjamin Bessinger/SP-X am 15.01.2025, 12:36 Uhr veröffentlicht.