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Wolfgang Tschakert - 7. August 2017, 13:47 Uhr - 4x4 Allrad NEWS

Truckrace: Fast wie in der Formel Eins

Truckrace ist sicher nicht jedermanns Sache. Aber die Rennserie der schweren Boliden ist beinahe so akribisch organisiert wie die Formel 1. Ein kleines Beispiel: Bei der Europameisterschaft der Renntrucks dreht sich vieles um den Reifen. Alle Boliden drehen auf einheitlichen Rennreifen ihre Runden, die Goodyear entwickelt und produziert. Wir haben einen Blick hinter die Kulissen geworfen.


Truckrace ist sicher nicht jedermanns Sache. Aber die Rennserie der schweren Boliden ist beinahe so akribisch organisiert wie die Formel 1. Und bei so vielen rennsportbegeisterten Besuchern würden sich die Organisatoren der Königsklasse wohl die Hände reiben. Trotz Regen, Wind und tiefhängenden Wolken waren mehr als 100.000 Trucksport-Fans an den Nürburgring gepilgert. Bei diesen Wetterbedingungen konnte man von spektakulären Rennszenen ausgehen. Ausritte ins Kiesbett, Rempeleien und sogar tieffliegende Renntrucks waren an der Tagesordnung. Die Hauptrolle in den Rennen und den vorausgehenden Qualifyings spielten diesmal die Reifen. Wir haben einen Blick hinter die Kulissen geworfen.

Hätten Sie es gewusst? Wie in der Topliga des Motorsports sorgt auch im Truckrennsport ein Hersteller für einheitliche Reifen. Auch 2017 darf wieder der Reifengigant Goodyear in diese Rolle schlüpfen, bereits das 13te Jahr in Folge liefert er die Spezial-Pneus für alle Läufe der FIA Truck Racing Championship.

Den Vergleich mit der Formel 1 findet der Reifenentwickler Dan Roder nicht so glücklich. "Unsere Motivation für den Truck-Rennsport beziehen wir aus der Transportpraxis", erklärt der Goodyear-Techniker Roder, "die Rennen sind eine ideale Plattform, um neue Reifentechnologie zu testen". Hier geht es nicht um teures Wettrüsten, sondern eher um erschwingliche Zutaten. Und vielleicht noch wichtiger: Es geht um Sicherheit. "Die ersten Schritte haben wir in den Labors unternommen", beschreibt der Experte die Vorgehensweise, "dann sind wir mit verschiedenen Versionen und mehreren Teams auf die Strecken gegangen."

Durch die enge Kooperation mit den Teams profitiert Goodyear von deren Erfahrungen. So schaffen es Rennsport-Technologien in die Serienprodukte, wie Dan Roder ganz ausdrücklich betont: "Beispielsweise findet man die Zweilagen-Konstruktion der Rennreifen jetzt auch in unserem Fuel Max." Ein wenig lupft der Reifenentwickler den Deckel, wenn er das EU-Reifenlabel für seine Rennreifen benennt: "... für den Rollwiderstand ein B, für die Nasshaftung ein A, ebenso für die Geräuschemission, die wir mit 71 dB(A) gemessen haben."

Als kostengünstige Basis der Rennreifen dient das gängige Format 315/70 R 22,5. Die Karkasse entspricht weitgehend dem Serienstandard eines Regional-Lenkachsreifens. Der Rennreifen ist zweischichtig aufgebaut: Unter der Lauffläche verringert eine zweite Gummischicht das Aufheizen der Reifen und optimiert die Kräfteverteilung. Der Reifen muss schnell Temperatur aufbauen und sie auch lange halten. Andererseits soll die Hitze nicht nach innen an die Karkasse weitergereicht werden. Denn die größten Kräfte entwickeln die 5,5-Tonnen, wenn sie mit 1.100 Pferdestärken beschleunigen und vor den Kurven noch vehementer bremsen. Und nicht zu vernachlässigen: Er muss Top-Speed 160 zuverlässig aushalten, wobei Dan Roder mit einem Lächeln verrät, hier noch erhebliche Reserven zu besitzen. Er verweist bei dieser Gelegenheit auf den Experimental-Renner von Volvo, der bestückt mit Goodyear-Rennreifen sogar 270 km/h erzielte.

Wenn man in die frühen Jahre der Truckrace-Historie zurückblättert, wird man noch mit unzähligen Reifenschäden konfrontiert. Damals fuhr man noch mit modifizierten Serienreifen, die von Haus aus für gerade mal bis 120 km/h zugelassen waren. Kein Vergleich zu heute, das Goodyear-Entwicklungszentrum in Luxemburg betreibt einen erheblichen Aufwand, um die 16 bis 19 Renntrucks mit Highspeed-Pneus zu versorgen.

Der asymmetrische Reifen mit gerundeten Schultern außen und Steilschultern innen müssen nicht laufrichtungsgebunden montiert werden. Bei der breiten Lauffläche, die neu mit sechs Millimeter Längsprofil auskommt, kommt es auf die Gummimischung an. Schließlich soll der Reifen bei allen Wetterlagen, auf trockener oder nasser Fahrbahn haften. Ohne Zweifel ein Kompromiss, der dem Wirtschaftlichkeitsgebot geschuldet ist. Fragt man Topfahrer, sind sie mit dieser Lösung weniger glücklich - sie würden sich wie in anderen FIA-Rennserien zusätzliche Garnituren Regenreifen wünschen.

Im Vergleich zu Serienreifen ist es mit der Laufleistung nicht so weit her. "Etwa 1.000 Kilometer", schätzt der Reifenfachmann Roder, die Reifen halten für etwa zwei Renntage ihre Leistung. Kein Fahrer darf mehr als 12 Reifen pro Veranstaltung nutzen, so steht es im Reifenreglement der FIA, die Reifen dürfen nur am Tag der Ausgabe gefahren werden. Es geht um weitgehende Chancengleichheit im Wettbewerb: Für die Top-Fahrer, hier spricht das FIA-Reglement von "priority drivers", stehen jeweils Neureifen zur Verfügung, die vor jedem Rennen in einer Art Lotterie ausgelost werden. Bleibt die Frage, wie sich die Vielzahl der Reifen im Fahrerlager zuordnen lässt? Alle Rennreifen werden mit RFID-Chips (Radio Frequency Identification) ausstaffiert, die einen Identity Code enthalten. So ist es der FIA möglich, jeden einzelnen Reifen zu überwachen und jederzeit zuordnen.

Für den Showdown am Nürburgring waren die Goodyear-Leute mit einem vollen Sattelzug angerückt. Kein leichtes Geschäft: Reifen ausgeben, das Einsammeln der gebrauchten Pneus. Auf die Frage, wie viele Reifen an so einem Renntag über den Tresen gehen, zieren sie sich mit der Antwort. "Etwa 2.000 Renn-Pneus pro Saison", schätzt ein FIA-Experte - rund 200 werden pro Renntag umgeschlagen. "Bloß gut, dass es nur den Einheitsreifen gibt", stöhnt ein geschaffter Goodyear-Mitarbeiter beim Reifenrollen. Doch das Thema Regenreifen ist noch nicht vom Tisch.

Wolfgang Tschakert / mid

Dieser Artikel aus der Kategorie 4x4 Allrad Auto NEWS wurde von Wolfgang Tschakert am 07.08.2017, 13:47 Uhr veröffentlicht.